Niklaus von Flüe – geschichts­wirk­same Leit­fi­gur seit dem 15. Jahr­hun­dert

Spä­te­stens 1481 wurde Niklaus von Flüe im Zusam­men­hang mit dem «Stan­ser Ver­komm­nis» zu einer natio­na­len, histo­risch bedeut­sa­men Per­sön­lich­keit. Die Fas­zi­na­tion für den Ranft-Ere­mi­ten riss mit sei­nem Tod nicht ab. Mehr und mehr wurde er zu einem «eid­ge­nös­si­schen Moses», einem «Vater des Vater­lan­des». Bei ihm such­ten Men­schen in Zei­ten der Not und Bedräng­nis Hilfe und Zuver­sicht. Er wurde immer wie­der für die eige­nen Anlie­gen als Gewährs­per­son und hoch aner­kannte Auto­ri­tät zitiert.

Im Zusam­men­hang mit der Erin­ne­rungs­kul­tur, dem Wach­sen und For­men eines Natio­nal­be­wusst­seins, das auch natio­nale Hel­den­fi­gu­ren bedingt, und der Refle­xion von Geschichts­bil­dern und ihrer Meta­mor­phose im Lauf der Jahr­hun­derte wurde und wird Niklaus von Flüe in aktu­el­le­ren For­schungs­bei­trä­gen immer wie­der zitiert bezie­hungs­weise als eine der geschichts­wirk­sam­sten Per­sön­lich­kei­ten als Bei­spiel bei­gezo­gen.

Im 20. Jahr­hun­dert wurde Niklaus von Flüe, der «viel­se­lige Lan­des­va­ter», beson­ders wäh­rend der Kriegs­jahre zur mora­li­schen Stütze und zum Trö­ster. Der für die Schweiz glück­li­che Aus­gang bei­der Welt­kriege festigte seine Stel­lung als Lan­des­va­ter und Lan­des­pa­tron. Histo­ri­ker Georg Kreis (*1943) hat die öffent­li­che Wahr­neh­mung im 20. Jh. in einem fak­ten­rei­chen Essay prä­gnant her­aus­ge­ar­bei­tet.

Ein prä­gen­des, nicht nur als Zeit­zeug­nis ein­drück­li­ches Bei­spiel für die auch poli­tisch rele­vante Deu­tung fin­det sich auf der Rück­wand der Unte­ren Ranft­ka­pelle. 1921 hat der Maler Albert Hin­ter das Gemälde nach dem Ent­wurf von Robert Dur­rer aus­ge­führt. Als über­grosse Votiv­ta­fel schil­dert es den völ­ker­mor­den­den Toten­tanz des Ersten Welt­krie­ges. Der Katho­li­sche Volks­ver­ein 1914 hat das Gemälde Bru­der Klaus ver­spro­chen, sofern die Schweiz vom Krieg ver­schont bleibe.

Der Schwei­zer Histo­ri­ker Guy P. Mar­chal (*1938) beschrieb die Geschichte des Votiv­bil­des und ihre Deu­tung detail­reich 2006 in sei­ner «Schwei­zer Gebrauchs­ge­schichte». Aus einem Meer von Mord und Brand und Tod erhebt sich die Frie­dens­in­sel Schweiz. Mit erho­be­nen Hän­den bit­tet Bru­der Klaus den drei­ei­n­i­gen Gott – dar­ge­stellt im Glas­ge­mälde des Rund­fen­sters – um die Ret­tung der Hei­mat, die von einem Kranz von Engeln schüt­zend umge­ben ist. Robert Dur­rer brach die­ses allzu idyl­li­sche Bild durch zahl­rei­che, bewusst «kri­ti­sche Zwei­deu­tig­kei­ten». Dem klei­nen Kreis der mass­geb­li­chen Befür­wor­ter gelang es, die kri­ti­schen Akzente gegen die rasch auf­kom­mende Kri­tik zu ‚ret­ten‘, doch dem flüch­ti­gen Betrach­ter bleibt das Bild der dank Bru­der Klaus kriegs­ver­schon­ten Frie­dens­in­sel Schweiz prä­sen­ter.

Die­ses Bild erfuhr im Zwei­ten Welt­krieg eine Stei­ge­rung, als am 13. Mai 1940 einige Men­schen in Wal­den­burg (Basel­land) schüt­zende Hände am Him­mel sahen.

Der 13. Mai 1940 fiel in eine span­nungs­volle Zeit. Hit­ler-Deutsch­land hatte wenige Tage zuvor Frank­reich ange­grif­fen. Wäh­rend wei­tere Trup­pen an die Grenze ver­legt wur­den, flüch­te­ten Frauen und Kin­der der Mit­tel- und Ober­schicht Rich­tung Inner­schweiz und Alpen. Da formte sich um 21:30 Uhr eine Wolke für einige Zeit in eine wun­der­li­che Form und ver­flüch­tigte sich als­bald in wei­te­ren Krüm­mun­gen und Dre­hun­gen. Einige Men­schen woll­ten eine (sic!) Hand erkannt haben, andere nicht. Von den vie­len befrag­ten Zeu­gen hatte nur eine Per­son spon­tan an Niklaus von Flüe gedacht. Vier Tage spä­ter erschien dar­über im Bas­ler Volks­blatt eine kurze Bemer­kung über zwei (sic!) ver­klärte Hände am Him­mel und stellte sie in eine Bezie­hung mit Bru­der Klaus. Alles Wei­tere war und ist Geschichte.

Die Zeit­zeu­gen jener Epo­che sind heute zumeist ver­stor­ben. Das «Wun­der von Wal­den­burg» ist aber Teil der leben­di­gen Erin­ne­rungs­kul­tur im Zusam­men­hang mit dem Zwei­ten Welt­krieg. In der Wall­fahrts­kir­che Melch­tal erin­nert ein Wand­fresko an der Chor­wand an das Ereig­nis.

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